Demokratie-Lernen in der Schule: Patentrezept Partizipation?
Horst Biedermann (PH St.Gallen)

Eindrücke zum Vortrag von Michelle Spiess, Studentin der PH St.Gallen 

Fragestellung:
«Besteht ein Zusammenhang zwischen Partizipationserfahrungen in alltäglichen Lebenswelten junger Menschen mit Aspekten ihrer sozialen und politischen Kompetenzen?» (Biedermann, 2023).

«Wie kann soziales und demokratisch politisches Lernen in der Schule gefördert werden?» (Biedermann, 2023).

Politische Bildung in Schule und Familie zielt auf die Ermöglichung eines erfolgreichen Zusammenlebens ab. Sie widmet sich der Frage, wie Gesellschaft gemeinsam gestaltet werden kann. Politische Bildung kann dabei in drei verschiedene Facetten aufgeteilt werden. Die Polity zeigt den politischen Handlungsraum auf, der sich innerhalb des Rechts und in der Schweiz innerhalb der demokratischen Bestimmung und Kultur bewegt. Politische Bildung sowie Partizipation von Schüler:innen sollen sich also auf diesen Rahmen beziehen. Was inhaltlich behandelt, diskutiert und entschieden wird ist die Policy. Sie umfasst die Ziele und Aufgaben politischen Handelns. Im Bereich der Partizipation von Schüler:innen wäre die Policy die Thematik, in welcher die Schüler:innen Einfluss nehmen dürfen. Zentral ist allerdings aus Sicht der politischen Bildung nicht, über was die Schüler:innen diskutieren oder entscheiden dürfen, sondern wie dieser Prozess der Willensbildung und der Entscheidung gestaltet wird. Diese politischen Prozesse sind unter Politics verortet und erwünschter Lerngegenstand für Schüler:innen. Dabei soll demokratisches Handeln und Denken gefördert werden. Demokratie kann als Herrschaftsform, als Gesellschaftsform sowie als Lebensform gesehen und vermittelt werden.

Um diese Prozesse und demokratischen Werte für Schüler:innen erlebbar zu machen, wird das Konzept der Partizipation angewandt. Partizipation als Begriff ist vielseitig und dessen Definition fliessend zwischen dem einfachen Teilnehmen und dem wirksamen Mitbestimmen. Biedermanns (2023) Definition lautet folgendermassen: «Partizipation ist (internal) freiwillige Teilnahme an öffentlichen – im Sinne von allen Mitgliedern offen stehenden – gemeinschaftlichen Entscheidungsprozessen, wobei der Prozess zur Entscheidungsfindung auf Diskursivität gründet und gekennzeichnet ist durch klar definierte – möglichst ausgeglichene – Machtverteilung auf alle und Verantwortungsübernahme von allen Beteiligten» (Biedermann, 2023). In einer ersten Untersuchung Biedermanns (2023) zeigten die Ergebnisse, dass nicht die Quantität partizipativer Möglichkeiten die personalen und sozialen Kompetenzen fördert, sondern die Qualität solcher Möglichkeiten. Es muss die Erfahrung von echter, (selbst)wirksamer Partizipation gemacht werden. In einer zweiten Studie untersuchte Biedermann (2023), ob und inwiefern Beziehungen zwischen Partizipationserfahrungen und der Entwicklung personaler, vorpolitischer Kompetenzen bestehen. Es zeigten sich sehr viele Beziehungen, wobei diese aber noch keine Kausalität implizieren. Zusätzlich wurden in derselben Studie die Korrelation von Partizipationserfahrungen und politischen Kompetenzen untersucht. Die Ergebnisse zeigten überraschenderweise äusserst wenige Beziehungen. Daraus lässt schliessen, dass Partizipation allein nicht ausreichend ist für die Ziele der politischen Bildung. Anhand von Dilemmasituationen konnte Biedermann (2023) zeigen, dass die Partizipationsmöglichkeiten und Aufgabenstellungen von politischem Inhalt sein sollten, um konkret politische Kompetenzen zu fördern. Häufig würde Partizipation auf der Stufe von Demokratie als Lebensform ausgeübt, was die personalen, sozialen Kompetenzen fördere. Allerdings müsste sich die Partizipation auf die Ebene der Demokratie als Gesellschaftsform beziehen, um eine Wirksamkeit im Bereich der politischen Bildung zu erzielen. Partizipation muss also bewusst und zielgerichtet angewendet werden. So wird sie zu einem effektiven Mittel, personale, soziale und politische Kompetenzen umfassend und ganzheitlich zu fördern und Politik aktiv erfahrbar zu machen.

Für mich als Lehrperson sind diese Erkenntnisse sehr wertvoll. Sie erinnern mich daran, dass es Schüler:innen schwerfällt, Erfahrungen, die sie in einem Lebens- oder Themenbereich gemacht haben auf andere Bereiche zu übertragen. Die Verknüpfung verschiedener Themengebiete, wie in diesem Fall Partizipation in einem nicht-(direkt oder bewusst)politischen Bereich und Politik, müssen von Lehrpersonen vorgegleist oder gar bereits im Vorfeld vorgenommen werden. Überfachliches Denken kann nicht vorausgesetzt, sondern muss gelernt werden.

Literatur:
Biedermann, H. (2023). Demokratielernen in der Schule: Patentrezept Partizipation?. Zum Wert partizipativen Erfahrungslernens (in der Schule und in der Familie). Abgerufen von: https://www.demokratie-erleben.at/videos/


Rückmeldungen der Zuhörenden

Nach Vortrag und Diskussion wurde den Zuhörenden über Mentimeter die Frage gestellt, was sie aus dem Vortrag mitnehmen. Hier die Rückmeldungen: